Bedeutung der Golfstromzirkulation

Seit langer Zeit rückt die Golfstromzirkulation ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Grund dafür ist ihre zentrale Rolle für das Klima in Europa. Zudem sagen viele Klimamodelle voraus, dass sich dieses Strömungssystem im Laufe des 21. Jahrhunderts deutlich abschwächen könnte, sofern der menschlich bedingte Ausstoß von Treibhausgasen und damit einhergehende Klimaveränderungen ungebremst weitergehen.

Die Golfstromzirkulation transportiert warmes, salzreiches Wasser aus den subtropischen Regionen bis in die Arktis. Dadurch trägt sie maßgeblich dazu bei, dass das Klima in Nordeuropa vergleichsweise mild bleibt. Deutschland profitiert davon ebenso wie Norwegen, dessen Häfen selbst im Winter eisfrei bleiben, oder die Westküste Spitzbergens, wo es trotz der nördlichen Lage über mehrere Monate hinweg kein Meereis gibt.

Doch was verstehen wir genau unter dem Begriff Golfstromzirkulation? Was wissen wir heute darüber, und wie hat sie sich in der Vergangenheit verändert? In welchem Zustand befindet sich diese Strömung derzeit, und wie könnte sie sich in Zukunft entwickeln? In dieser Broschüre gehen wir diesen Fragen nach. Wir zeigen auch, warum unser Wissen über das Ozeansystem nach wie vor Lücken aufweist und wieso es so schwer ist, zuverlässige Aussagen über die künftige Entwicklung der Golfstromzirkulation und damit über das europäische Klima zu treffen.

Der fünfte Bericht des Weltklimarats (IPCC) von 2014 fasst zusammen: „Der menschliche Einfluss auf das Klimasystem ist klar.“ Diese Einschätzung stützt sich unter anderem auf weltweite Temperaturmessungen, die seit etwa 1850 vorliegen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist ein eindeutiger Erwärmungstrend in der globalen Durchschnittstemperatur erkennbar. Darüber hinaus ist gut belegt, dass vor allem die menschlichen Emissionen großer Mengen an Treibhausgasen wie Kohlendioxid für diesen Temperaturanstieg verantwortlich sind.

Im Hinblick auf die Ozeane, und hier insbesondere auf die Golfstromzirkulation, ist die Lage jedoch wesentlich komplizierter. Die Datenlage ist dünn, die Ozeandynamik äußerst komplex, und dies führt zu Unsicherheiten in den Klimamodellen. Daher können wir bisher weder genau bestimmen, in welchem Maße der Mensch bereits auf die Golfstromzirkulation eingewirkt hat, noch ihre künftige Entwicklung präzise vorhersagen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich kein klarer Trend abgezeichnet, dafür aber eine überraschend große natürliche Schwankungsbreite.

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Die Golfstromzirkulation ist maßgeblich für das milde Klima in Europa, doch trotz klar nachgewiesener menschlicher Klimaeinflüsse ist aufgrund mangelnder Daten, komplexer Ozeandynamik und großer natürlicher Schwankungen noch ungewiss, wie stark sich diese Strömung künftig abschwächen wird.

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Die Golfstromzirkulation ist ein gewaltiges Strömungssystem im Atlantik, das warmes Wasser nach Norden und kaltes Wasser nach Süden transportiert, vom Zusammenspiel von Wind, Temperatur- und Salzgehaltsunterschieden angetrieben wird und dabei entscheidenden Einfluss auf das Klima hat. Ihre langfristige Stabilität hängt vor allem davon ab, wie und wo im nördlichen Atlantik kaltes, dichtes Tiefenwasser gebildet wird.

Das Atlantische Strömungssystem

Die Ozeane werden von einem komplexen Netz an Meeresströmungen durchzogen, das ihren physikalischen, chemischen und biologischen Zustand beeinflusst. Im Atlantik spielt dabei die Golfstromzirkulation eine zentrale Rolle. Sie lässt sich grob in einen warmen oberflächennahen und einen kalten tiefen Anteil unterteilen. Der eigentliche „Golfstrom“ ist dabei nur der Abschnitt der Strömung entlang der amerikanischen Ostküste. Umgangssprachlich wird jedoch häufig das gesamte warme Strömungsband von der Floridastraße über den Nordatlantik bis in die Arktis als Golfstrom bezeichnet. Dieses Band bildet den warmen Ast der Atlantikzirkulation, den wir hier als Golfstromzirkulation bezeichnen.

Diese Golfstromzirkulation zählt zu den stärksten Strömungssystemen des Weltozeans. Vor der Küste Floridas fließen etwa 32 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach Norden – etwa das Dreißigfache der Wassermenge aller Flüsse der Erde zusammen. Auf dem Weg nach Norden nimmt die Strömung noch weiter zu, erreicht etwa das Fünffache der Ausgangsmenge und verzweigt sich anschließend. Ein Teil fließt weiter in das Europäische Nordmeer und bis in den Arktischen Ozean. Der Antrieb dieses riesigen Strömungssystems kommt sowohl von den Winden als auch von Temperatur- und Salzgehaltsunterschieden im Ozean. Je kälter und salziger das Wasser, desto dichter und schwerer ist es, und nur so kann es in tiefere Schichten absinken. Ohne ausreichenden Salzgehalt würde selbst kaltes Wasser nicht absinken, weshalb dieser hohe Salzgehalt, den die Golfstromzirkulation mit sich führt, entscheidend für die vertikale Umwälzung ist.

Der kalte, tiefere Teil dieser Umwälzbewegung entsteht an wenigen Stellen im hohen Norden, insbesondere in der Labradorsee zwischen Grönland und Kanada sowie im Europäischen Nordmeer. Dort sinkt im Winter stark abgekühltes Wasser bis in Tiefen von rund 2.000 Metern ab, darunter füllt noch kälteres Tiefenwasser die unteren Schichten auf. Dieses kalte Tiefenwasser strömt anschließend entlang der amerikanischen Ostküste nach Süden. Ein Teil davon kehrt später wieder um, sodass am Ende etwa 18 Millionen Kubikmeter pro Sekunde in die Tropen und weiter in den Südatlantik gelangen.

Die Umwälzzirkulation ist für das Klima außerordentlich wichtig, da sie an der Oberfläche Wärme von Süden nach Norden transportiert. In den Subtropen erreicht dieser Wärmetransport gigantische Werte und sinkt in Richtung Norden etwa auf die Hälfte ab. Wenn in Zusammenhang mit menschlicher Einflussnahme von der Golfstromzirkulation die Rede ist, meint man meist diese Umwälzkomponente. Damit diese Zirkulation langfristig bestehen bleibt, müssen sich an anderen Stellen leichtere, oberflächennahe Wassermassen mit dem kalten, schweren Tiefenwasser mischen. Für diese Durchmischung sorgen Gezeiten und Winde, die die nötige Energie liefern. Kurz- bis mittelfristige Veränderungen der Umwälzzirkulation – und somit jene, die mit dem aktuellen, vom Menschen verursachten Klimawandel besonders relevant sind – hängen jedoch in erster Linie von Schwankungen der Tiefenwasserbildung in den nördlichen Breiten ab.

OZEAN

Rolle im Klimasystem

Seit rund 11.000 Jahren leben wir in einer Warmzeit, dem Holozän, in der die Umwälzzirkulation bisher recht stabil war. Doch das war nicht immer so. Aus Klimaarchiven wissen wir von Phasen in der Erdgeschichte, in denen sich die Umwälzzirkulation stark veränderte, ja sogar beinahe zusammenbrach. So zeigen Temperaturrekonstruktionen für Grönland und den subtropischen Atlantik in den letzten 60.000 Jahren wiederholt abrupte und markante Klimaschwankungen. Diese äußerten sich in plötzlichen Kältephasen (Heinrich-Ereignisse) sowie schnellen Erwärmungsschüben (Dansgaard-Oeschger-Ereignisse). Der letzte große Einbruch des Stromsystems fand vor etwa 13.000 Jahren statt und ist als Jüngere Dryas-Ereignis bekannt. Damals, am Ende der Eiszeit, kühlte sich die Nordhalbkugel aufgrund der schwächeren Umwälzzirkulation innerhalb kurzer Zeit merklich ab, bevor sich schließlich das stabile Klima des Holozäns endgültig durchsetzte. Diese lange stabile Phase hat wahrscheinlich maßgeblich zur Entwicklung menschlicher Zivilisation beigetragen. Doch der menschlich verursachte Klimawandel könnte diese Stabilität beenden.

Wichtig ist dabei, den Auslöser für eine mögliche Verlangsamung der Umwälzzirkulation nicht aus den Augen zu verlieren: den vom Menschen verursachten Klimawandel selbst. Zwar könnte eine schwächere Umwälzzirkulation einige Regionen der Nordhalbkugel kurzfristig etwas abkühlen, doch von einer neuen Eiszeit kann keine Rede sein. Stattdessen wäre mit einer Reihe weiterer Effekte zu rechnen, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich sind. So könnte sich beispielsweise die atlantische Hurrikan-Aktivität ändern, der Regen in der Sahelzone beeinflusst oder auch der Indische Sommermonsun verändert werden. Darüber hinaus würde weniger Kohlendioxid aus der Atmosphäre in die Tiefe des Ozeans transportiert, sodass sich mehr dieses Treibhausgases in der Luft ansammelt und die Erwärmung weiter anheizt. Zusätzlich würden Meeresspiegelschwankungen auftreten, mit steigendem Pegel im Nordatlantik und sinkendem im Südatlantik – ein Effekt, der den ohnehin weltweit steigenden Meeresspiegel lokal noch verstärken würde. Insgesamt wäre eine Abschwächung der Umwälzzirkulation daher mit erheblichen Risiken für unsere Gesellschaft verbunden.

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In der Vergangenheit konnte die Umwälzzirkulation abrupt zusammenbrechen und damit starke Klimaveränderungen auslösen; eine heutige, menschlich verursachte Abschwächung würde die Erwärmung weiter antreiben, Extremwetter verstärken, Niederschlagsmuster verändern und den Meeresspiegel steigen lassen, mit erheblichen Risiken für unsere Gesellschaft.

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Bislang gibt es keinen eindeutigen Nachweis einer langfristigen Abschwächung der Umwälzzirkulation seit Beginn des 20. Jahrhunderts, da die Datenlage zu dünn ist und Messreihen sowie Modelle noch zu viele Unsicherheiten aufweisen.

Veränderungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts

Kann man eine anhaltende Abschwächung der Umwälzzirkulation im Zuge der Erderwärmung bereits nachweisen? Um diese Frage zu klären, gibt es verschiedene Untersuchungsansätze – doch ein eindeutiger Beleg steht noch aus.

Ein Beispiel: Eine Studie aus dem Jahr 2005 sorgte zunächst für Aufsehen, weil sie auf Basis von Messungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten berechnete, dass sich die Umwälzzirkulation zwischen 1957 und 2004 um rund 30 Prozent verlangsamt haben könnte. Doch eine genauere Analyse relativierte dieses Ergebnis deutlich. Zum einen waren die Messungen selten und nicht einheitlich über das Jahr verteilt. Berücksichtigte man die jahreszeitlichen Schwankungen, sank die angebliche Abschwächung auf etwa 10 Prozent – ein Wert, der noch im Rahmen natürlicher Schwankungen liegt. Ähnliche Studien kamen zu dem Schluss, dass bisher einfach zu wenige verlässliche Daten für eine klare Aussage über langfristige Trends existieren. Direkte Strömungsmessungen gibt es nämlich erst seit 1995.

Wegen der dünnen Datenlage versuchen Fachleute, indirekte Hinweise auf Veränderungen der Umwälzzirkulation zu finden. So wird die Temperatur der Meeresoberfläche herangezogen, da die Umwälzzirkulation wie eine „Zentralheizung“ Wärme von Süden nach Norden transportiert. Klimamodelle sagen voraus, dass sich bei einer Abschwächung des Stromsystems im Nordatlantik eine abkühlende Zone bilden müsste. Tatsächlich zeigt sich seit 1900 auf der ansonsten sich erwärmenden Erde ein „Erwärmungsloch“ im Nordatlantik – genau dort, wo ein schwächeres Strömungssystem sich bemerkbar machen könnte. Einige Modelle bestätigen diesen Zusammenhang, andere wiederum erklären dieses Loch durch den Einfluss von Aerosolen aus der Verbrennung von Kohle, die über den Nordatlantik geweht werden und für eine zusätzliche Abkühlung sorgen.

Auch Messungen aus der Labradorsee, einer wichtigen Region der Tiefenwasserbildung, haben seit den 1940er Jahren keinen eindeutigen Trend geliefert. Statt eines klaren Signals beobachten wir vor allem Schwankungen von Jahr zu Jahr und Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Selbst in Tiefen von über 1000 Metern, wo sich das neu gebildete Tiefenwasser ansammelt, ist kein langfristiger Erwärmungs- oder Abkühlungstrend erkennbar. Realitätsnahe Ozeanmodelle, die mit gemessenen atmosphärischen Daten gefüttert werden, bestätigen diesen Befund: Sie zeigen ebenfalls keinen eindeutigen Abschwächungstrend im Verlauf der letzten Jahrzehnte.

Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass wir derzeit weder sicher belegen noch ausschließen können, dass sich die Umwälzzirkulation seit Beginn des 20. Jahrhunderts langfristig abgeschwächt hat. Dafür bräuchte es mehr und verlässlichere Daten sowie Modelle, die mit der Komplexität des Ozeansystems besser umgehen können.

Neueste Entwicklung

Ein wichtiger Durchbruch in der Meeresforschung der letzten zwanzig Jahre ist die Erkenntnis, dass Meeresströmungen nicht konstant, sondern äußerst veränderlich sind – von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr und sogar über Jahrzehnte hinweg. Die neuen Daten haben das alte Bild einer fast unveränderlichen Ozeanzirkulation abgelöst. Wir verstehen heute, dass chaotische Wetterabläufe die Bildung von Tiefenwasser beeinflussen und so langfristige Schwankungen in der Umwälzzirkulation auslösen können. Diese natürlichen Veränderungen erschweren jedoch den Nachweis eines möglichen menschlichen Einflusses auf das System.

Seit den 1990er Jahren ist es dank technischer Fortschritte möglich, an wenigen Schlüsselstellen im Ozean mittels fest installierter Messinstrumente direkt zu erfassen, wie stark die Umwälzzirkulation ist. Diese Messungen legen nahe, dass die Umwälzzirkulation in den letzten 20 Jahren insgesamt recht stabil geblieben ist, obwohl sie stark schwankt. So deutet beispielsweise ein seit 2011 beobachteter Trend in der Labradorsee auf eine Abschwächung hin, bewegt sich aber nach heutigem Wissensstand noch im Rahmen der natürlichen Variationen.

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Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte zeigt, dass die Umwälzzirkulation sehr variabel ist und ihr beobachtetes Verhalten in den vergangenen 20 Jahren noch im Bereich natürlicher Schwankungen liegt, was den Nachweis menschlicher Einflüsse erschwert.

Mögliche Zukunftsszenarien und Fazit

In den vergangenen 20 Jahren war die Umwälzzirkulation zwar recht stabil, doch ihre Schwankungen liegen im Bereich natürlicher Veränderungen. Um wirklich nachweisen zu können, ob der menschengemachte Klimawandel bereits Spuren in dieser Strömung hinterlassen hat, brauchen wir lange, flächendeckende und verlässliche Messreihen. Seit etwa 1995 stehen an bestimmten Schlüsselstellen moderne Strömungsobservatorien bereit, und seit 2000 liefern Tausende von autonomen ARGO-Messbojen umfangreiche Daten zu Temperatur- und Salzgehalt. Diese Fortschritte verbessern unsere Datengrundlage, aber für gesicherte Aussagen ist die Beobachtungszeit noch zu kurz.

Ausgehend von unserem heutigen Wissen über Ozean- und Klimaphysik erwarten Forscher jedoch bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine deutliche Abschwächung der Umwälzzirkulation. Wie stark diese ausfallen wird, hängt unter anderem vom Schmelzverhalten des Grönlandeises ab, das viele Unsicherheiten birgt.

Präzise Vorhersagen erfordern große Anstrengungen: umfangreiche Messprogramme, fortschrittliche Modelle, Hochleistungsrechner und eine effiziente Datenverarbeitung. Nur so lassen sich die komplexen Wechselwirkungen vollständig erfassen, die die Golfstromzirkulation und damit auch das europäische Klima prägen.

Ein plötzlicher Stopp des Stromsystems und eine damit verbundene dramatische Abkühlung gelten in der Fachwelt zwar als sehr unwahrscheinlich. Dennoch bereitet die erwartete Abschwächung Grund zur Sorge. Sie könnte unter anderem die globale Erwärmung zusätzlich verstärken, Niederschlagsmuster verändern und das Ansteigen des Meeresspiegels in Europa noch beschleunigen. Damit wären nicht nur Klima, Meere und Ökosysteme betroffen, sondern auch Landwirtschaft, Fischerei und letztlich die Lebensgrundlagen der Menschen in Nord- und Westeuropa.

Die Golfstromzirkulation hat die Entwicklung ganzer Landschaften, Kulturen und Gesellschaften mitgeprägt. Sollte sie sich nun deutlich verändern, müssten wir mit neuen Bedingungen umgehen, die in ihrer Dimension für die Menschheit ohne historisches Vorbild sind. Zwar ist man sich in der Wissenschaft einig, dass eine Abschwächung kommen wird, doch ob sie sich langsam oder rasant vollzieht, kann derzeit niemand sicher sagen. Klar ist nur: Die Folgen wären gravierend.